Als Sprecher der AGP

Bei der letzten Jahresversammlung der 2015 zu Pfingsten in Heppenheim aufgelösten Arbeitsgemeinschaft von Priester- und Solidaritätsgruppen in Deutschland (AGP) haben die langjährigen geschäftsführenden Sprecher der AGP Carl-Peter Klusmann (1974 bis 1986) und Edgar Utsch (1986 bis 2015) wunschgemäß aus ihrer Zeit berichtet. Es folgt eine geküzte Fassung meines Vortrags. Einen ausführlicheren Bericht enthält die Dokumentation
Dem Konzil verpflichtet – verantwortlich in Kirche und Welt, Priester- und Solidaritätsgruppen in Deutschland (AGP) 1969-2010: eine Bilanz nach 40 Jahren, herausgegeben von Edgar Utsch und Carl-Peter Klusmann (LIT-Verlag 2010, S. 42 ff)

Rückblick

Im Jahr 1974 war die AGP praktisch am Ende. Zum Neubeginn in der AGP führte ein äußerer Anlass. Im Januar des Jahres 1974 veröffentlichte Publik-Forum als Sonderdruck ein Memorandum des Bensberger Kreises mit dem Titel “Offene Gemeinde“. Unklar blieb, ob damit eine wünschenswerte Qualität bereits bestehender Gemeinden oder ob damit neu zu gründende Gemeinden gemeint waren. Das Stichwort “Offene Gemeinde“ besaß jedenfalls für viele eine derartige Faszination, dass im Mai 1974 auf einem AGP-Treffen beschlossen wurde, die bisherige Arbeitsgemeinschaft solle aufgelöst werden und sich zu einem Sammelbecken Offener Gemeinden umbilden. Zwar gab es damals kaum derartige Gemeinden. Jedoch wäre mit diesem Vorhaben der AGP als AG von Gruppen, die hauptsächlich auf Diözesanebene organisiert waren, der Boden entzogen worden.

Ein satzungsgemäßer Hauptausschuss am 23.11.74 lehnte einen solchen Kurswechsel ab und entschied, die AGP solle weiter bestehen bleiben. Von der Hauptversammlung im folgenden Jahr bestätigt, wurden dabei folgende Beschlüsse gefasst:
Die AGP soll ihre bisherige Arbeitsweise fortsetzen. Carl-Peter Klusmann wird mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragt. Das Büro wird nach Dortmund (dann nach Herdecke, Iserlohn und schließlich nach Hamm) verlegt. Die SOG-Papiere sollen weiter erscheinen und zwar als 8-seitige Beilage zu „imprimatur“. Das blieb so bis 1987. Die Gruppen werden gebeten, den „Informationsdienst“ auch für ihre Bekanntmachungen zu nutzen [was jedoch nie wahrgenommen wurde].

In Zukunft fanden regelmäßige Sitzungen des HA statt und die Gruppen wurden ständig durch Rundschreiben informiert. Weiterhin gab es regelmäßig gemeinsame Treffen, Delegiertentagungen und Hauptversammlungen.
Einzelheiten der folgende Jahre bietet unsere Dokumentation von 2010: „Dem Konzil verpflichtet“, siehe oben.

Am 25.März 1980 richtete die AGP ein Schreiben an die Mitglieder der deutschen Bischofskonferenz. Diese hatte ihr Vorgehen gegen Küng u.a. folgendermaßen begründet: „Der Gläubige hat ein Recht auf eine volle und eindeutige Darstellung unveräußerlicher Glaubenswahrheiten“. Auf die Bitte um eine Übersicht, welche „Wahrheiten“ dazu gehörten und welche nicht, lässt Kardinal Höffner ohne Begründung antworten, die Bischofskonferenz beabsichtige nicht, sich mit dem Inhalt des AGP-Schreibens zu befassen. (s. Dokumentation S. 140) Prof. Lehmann antwortete auf unser Schreiben: „Dahinter scheint mir ein sehr quantitativ-dogmatistisches Verständnis von Glaubenswahrheit zu stehen, das einfach schon im Ansatz verfehlt ist.“ Wir hatten uns diese Sichtweise jedoch nicht selbst zu eigen gemacht. Die Lefebvregruppe Pius X. begibt sich später auf dieses Niveau, indem sie am 28.5.2013 exakt 245 vermeintliche Dogmen aufzählt und erklärte: „Wer sie ablehnt, ist außerhalb der katholischen Kirche.“

Im Juni 1980 findet in Berlin der erste Kvu statt. (Einzelheiten s. in: Kirche lebt von unten, Wuppertal 2000, S. 110-112)

1986: Aus gesundheitlichen Gründen kandidierte ich nicht mehr als Sprecher und gab auch die Geschäftsführung ab.

Nachdem ich 1996 als Pfarrer in den Ruhestand getreten war und sich mein Gesundheitszustand konsolidierte, habe ich längere Zeit die AGP in der IKvu vertreten. Von 1995 bis 2009 war ich auch mit Edgar Utsch AGP-Sprecher. An drei Aktionen der IKvu war ich maßgeblich beteiligt, die jedoch weitgehend in der Öffentlichkeit, auch in kirchlichen Medien unbeachtet blieben, oft nicht einmal verstanden oder sogar missdeutet wurden.

1. Theologisches „Fingerspitzengefühl“ hatte die IKvu 2002 angesichts der vermeintlichen Priesterweihe von Frauen, den sog. Donaufrauen, zu beweisen. Unter entscheidender Hilfe von Thomas Wystrach hatte sich jedoch gezeigt, dass der angebliche Bischof nicht legitimiert war. (sh. Beschluss des Koordinierungskreises der IKvu vom 20.9.2002). In dieser Frage ging es um mehr als um ein Problem des Kirchenrechts.

2. Das Jahr 2003 brachte mit dem ÖKT in Berlin seitens der AGP zwei Neuerungen, die jedoch nicht von langer Dauer waren. Zunächst eine gemeinsame Initiative von IKvu und WsK. Während auf katholischer Seite lange Zeit noch von einer Rückkehr-Ökumene geträumt wurde, hatte die EKD 2001 festgestellt: „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis“ sei nur als „Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“ möglich. (EKD-Texte 69) Praktiziert wird das offiziell schon seit langem bei sogenannten Gemeinsamen Trauungen. Auf der Basis haben auch die ökumenischen Gottesdienste der IKvu beim ÖKT 2003 in Berlin stattgefunden (s. AGP-Dokumentation, S. 157). Ihr Kennzeichen war: Im Zusammenhang eines ökumenischen Gottesdienstes war jeweils die Predigt Aufgabe einer Konfession und entsprechend die Abendmahlsliturgie (Eucharistie) nach der Tradition der anderen – selbstverständlich mit eucharistischer Gastfreunschaft. Unser Schreiben an die DBK mit einer ausführlichen Begründung dieses Vorhabens wurde völlig ignoriert, nicht einmal der Eingang wurde bestätigt. Publik-Forum und andere externe wie interne Eiferer hielten den Verzicht auf eine Interzelebration, wie sie noch auf dem Katholikentag in Hamburg (2000) praktiziert worden war, für Nachgiebigkeit gegenüber der Oberkirche.

3. Völlig übersehen, obwohl sie auch im offiziellen Programm des Kirchentages stand, wurde die einzige AGP-Veranstaltung, die es je auf einem Kirchentag gegeben hat. Unter dem Titel „Ökumenische Gemeinden“ haben etliche Erfahrungsberichte gezeigt, wie Mitglieder einer Konfession voll anerkannt zu einer „Wahlgemeinde“ der anderen gehören können.

Meine Bilanz: Die AGP existierte bis zum Schluss nur in den alten Bundesländern. Eine Zusammenarbeit als „Arbeitsgemeinschaft“ der Gruppen hat es kaum je gegeben. Bestenfalls waren es einzelne Vertreter aus den Gruppen, die Kontakt untereinander hatten. Die Hauptarbeit lag meistens auf den Schultern einzelner, die außerdem aus wenigen Gruppen kamen. Kennzeichnend ist auch, dass infolgedessen keine Internetpräsenz der AGP möglich war und die SOG-Papiere mit inzwischen nur vier Seiten von den Beiträgen einzelner lebten.
Ein flüchtiger Blick in die ersten Bücher zur AGP,  Eine freie Kirche für eine freie Welt und Impulse zur Freiheit, zeigt einen Sachverhalt besonders deutlich. Wir haben uns in der Frühzeit der AGP vorzugsweise mit Problemen herumschlagen müssen, bei denen mehr oder weniger ausdrücklich das geltende Kirchenrecht uns im Wege stand. Durch alle Jahrzehnte tauchte immer wieder dabei ein Thema auf: Die Situation der zivil Getrauten, nachdem die zuvor kirchlich geschlossene Ehe gescheitert war. Das galt selbst nach dem Konzil offiziell als unlösbares Problem in der Kirche. Die Mitglieder unserer Gruppen – soweit sie Priester waren – haben durchweg und vielfach auch erklärtermaßen die Betroffenen an der Kommunion teilnehmen lassen, weil sie davon überzeugt waren, dass auch ihnen die Einladung Jesu gilt.
Im Herbst diesen Jahres (2015) wird eine Bischofssynode in Rom, dasselbe Problem diskutieren und entscheiden, ob die Betroffenen an den Sakramenten (Beichte und eucharistische Kommunion) offiziell teilnehmen dürfen.
Seitdem ist in dieser Sache eine Verschärfung eingetreten. Die Gegner der von uns vertretenen Praxis fahren gegenwärtig schweres Geschütz auf. Sie behaupten, dass ein solches Verhalten eindeutig von Jesus verurteilt worden sei und dem Willen Gottes widerspreche. Inzwischen geltend gemachte differenzierende Argumente werden in Bausch und Bogen verworfen. Geändert hat sich somit: Was früher als Verstoß gegen das Kirchenrecht gerügt wurde, wird in dieser Auseinandersetzung von den Scharfmachern als Verstoß gegen die kirchliche Lehre und deshalb als Sünde gegen Gott angeprangert.

Ausblick

Wenn wir den Blick abschließend jetzt wieder von der römischen Ebene auf unser eigenes Land und die AGP richten, müssen wir vor allem zur Kenntnis nehmen, dass sich die religiöse Landschaft in Deutschland durch den Zuzug von Moslems radikal verändert hat. Die Jahresversammlung 2001 (mit Karl-Heinz Ohlig) hatte die Frage „Christentum – Religion unter Religionen?“ positiv beantwortet. Nachdem die Annahme, die Kirche verfüge über eine privilegierte Offenbarung (DH 3004), kaum noch Gefolgschaft findet, ist die Frage nach dem Status des Christentums als einer (normalen) Religion kaum noch zu umgehen. Das Thema „Religion“ auf der AGP-Versammlung des letzten Jahres hatte allerdings trotz der Aktualität dieses Themas keine ausreichende Diskussion gefunden.
Vermutlich werden wir jedoch bald in diesem Zusammenhang alle vor neuen Herausforderungen stehen. Unabhängig davon, ob sich dessen Prämisse, auf einer singulären göttlichen Offenbarung zu beruhen, aufrechterhalten lässt, wird das Christentum sich als unverzichtbares geschichtliches und in der Praxis humanes Erbe erweisen müssen. Das Christentum muss sich dabei nach meiner Überzeugung als Alternative zum weltbeherrschenden Kapitalismus bewähren, dessen Akteure gegebenenfalls über Leichen gehen, wenn es dem eigenen Profit nützt. Jegliche Religion wird in den Kreisen nur dann und soweit beachtet, wie sich damit Geschäfte machen lassen.